Die Leidenschaft zum Einzelnen
Giles Auty
Im Kontext der zeitgenössischen Kunst ist Peter Schermulys Stimme nicht leicht einzuordnen. Wenn der Künstler selbst sagt, er sei durch keine spezielle Theorie beherrscht, scheint auf den ersten Blick jeder Versuch, sich nach anderen Malern umzusehen, die von ähnlichen Impulsen getrieben werden, zum Scheitern verurteilt. Ob es in Deutschland andere Maler gibt, zu denen Schermuly eine Art »Malverwandtschaft« fühlt, ist für mich schwer zu sagen. Er zumindest würde es erlauben und begrüßen, wenn es eine solche gäbe, wohingegen meine Kenntnis der zeitgenössischen deutschen Kunst zu beschränkt ist, um eine Vermutung auszusprechen. Was ich jedoch mit einiger Sicherheit sagen kann, ist, daß Schermulys allgemeine Haltung interessante Entsprechungen zu bestimmten Künstlern des 20.Jahrhunderts in Frankreich und Amerika hat, vor allem zu Balthus und zu Edward Hopper. Im Zusammenhang mit der englischen Kunst, und zwar sowohl der Vorkriegskunst als auch der zeitgenössischen, werden die Bezugspunkte noch deutlicher. Es gibt eine lange Tradition von englischen Künstlern, die sich außerstande fühlten, zu den vorherrschenden stilistischen Imperativen ihrer Zeit einen Beitrag zu leisten. Stanley Spencer (1891-1959) war zur Zeit seines Todes im Jahr 1959 der am weitesten bekannte unter diesen Künstlern, aber heute gebührt der erste Rang sicherlich Lucian Freud, der - obwohl 1922 in Berlin geboren - seit seinem 10. Lebensjahr in England lebt. Andere interessante Beispiele dieser Richtung sind Algernon Newton (1880-1968) und Meredith Framp-ton (1894-1985), und diese Tendenz drückt sich heute in England weiter in den Arbeiten solcher zeitgenössischen Künstler wie Leonard McComb (geb. 1930) und John Wonnacott (geb. 1940) aus, die beide, wie Stanley Spencer, ihre künstlerische Ausbildung an der Slade erhielten.
Schermulys direkter Kontakt zur englischen Kunst entstand aus seiner Freundschaft mit einem anderen ehemaligen Schüler dieser berühmten Londoner Kunstschule: dem anglo-irischen Künstler Stephen McKenna (geb. 1939). Beide, Schermuly und McKenna, waren zuvor abstrakte Maler. Doch anläßlich eines Besuches in Deutschland stellte McKenna einen radikalen Richtungswechsel bei seinem Freund fest. Im Gegensatz zu Balthus oder jenen Künstlern, welche aus den amerikanischen und englischen Traditionen der perzeptiven Kunst herkamen, die nie von der figürlichen Darstellung abgewichen waren, mußten Schermuly und McKenna, als bereits fertige Künstler, die Schönheiten des Greifbaren für sich aufs neue entdecken. Diese Unterscheidung ist interessant und ganz wichtig, besonders in Schermulys Fall. Dabei gehen die Ursprünge dieser Veränderung, welche erst später bei Schermuly auftrat, bereits auf das Jahr 1961 zurück und waren mit der Wiederentdeckung des einzelnen Gegenstandes in der Malerei - im Gegensatz zum Abstrakten - verbunden. Hier spielte die lange Beschäftigung mit den Gemälden von Jacques-Louis David im Louvre eine bedeutende Rolle. Schermuly lebte zu dieser Zeit in Paris.
Jedoch brauchte die damals gelegte Saat eine lange Zeit, um zu wachsen und zu blühen. Im Jahre 1971 hatte der führende amerikanische Kunstkritiker Hilton Kramer von der Notwendigkeit geschrieben, »unseren Vertrag mit der Vergangenheit neu auszuhandeln«, und dieser Satz gibt die bestmögliche Beschreibung der Vorgänge, die gerade in dieser Zeit im ästhetischen Bewußtsein Schermulys stattfanden. Für einen Künstler, der in von Paul Klees Diktum beherrschten Zeiten aufgewachsen war, daß es Aufgabe der Kunst sei, »nicht das Sichtbare wiederzugeben, sondern sichtbar zu machen«, war das Neuverhandeln dieses Vertrages notwendig ein schmerzlicher und langwieriger Vorgang, bei dem jeder neue Schritt mit Sorgfalt ausgemessen werden mußte. Vielleicht könnte diese Zeit als ein innerer Kampf, der zwischen Herz und Kopf stattfindet, charakterisiert werden. Doch während der Künstler immer mehr Bilder der neuen Art malen wollte, fühlte er sich zugleich, zumindest am Anfang, gehemmt durch die Vorstellung, daß solche Bilder einen intellektuellen Anachronismus darstellen könnten. Herz, Kopf und Hand sind eine Dreiheit, die zusammenwirken muß, um eine bedeutsame Kunst hervorzubringen. Vor allem Herz und Kopf müssen beim Malen zusammenklingen, und Schermulys Kunst ist zweifellos zu voller Blüte gelangt, seit er diesen persönlichen künstlerischen Konflikt gelöst hat.
Auf Betreiben seines Freundes McKenna unterrichtete Schermuly zweimal für kurze Zeit in England, am Canterbury College of Art und am Goldsmith College in London. Vielleicht hat die zeitweilige Beschäftigung mit den Problemen jüngerer Künstler Schermuly bei der Lösung seines eigenen künstlerischen Problems geholfen. Betroffen von der Aussichtslosigkeit, die viele Studenten spürten, ihre sehr unspezifischen Malereien jemals zu Ende oder zu einer glücklichen Lösung zu bringen, erkannte er die unmittelbaren Wohltaten, welche durch eine Entscheidung für eine spezielle Thematik und zeitliche Begrenzung erreicht wurden. Paradoxerweise fanden viele Studenten den Grad an Freiheit, zu dem sie vorher durch andere Lehrer ermuntert worden waren, als hinderlich; Schermuly sah, daß das Übermaß an Selbst-Gefühl verschwand und eine ursprüngliche künstlerische Identität unter seinen Studenten zu gedeihen schien, wenn sie mit klaren und genau formulierten Aufgaben konfrontiert wurden. Solche Erfahrungen verstärkten Schermulys eigene Entschlossenheit, sich zukünftig direkter mit dem zu beschäftigen, was er und andere als das »Geheimnis des Gegenstandes« bezeichnen. Schermuly hat ganz richtig darauf hingewiesen, daß, obwohl eine sehr lange Tradition der Stillebenmalerei besteht, seine eigene Arbeit auf diesem Gebiet unvermeidlich der Gegenwart angehört. Schermuly weicht von der früheren Ausübung der Malerei ganz offensichtlich durch das Fehlen vorformulierter Ideen ab, seine Gemälde sind, kurz gesagt, viel eher Ereignisse als geplante Episoden. Ja, es ist ausnahmslos eine rein visuelle Sensation, welche sie auslösen. Der Künstler spricht davon, daß er seinen Gegenstand »verschlingen« möchte, im Sinne, daß er dessen innersten Kern für sich selbst erfahren wolle. Es ist interessant, wie der englische Künstler Lucian Freud auf seine Modelle reagiert: »Ich wünschte, daß meine Portraits aus den Leuten gemacht sind, nicht nach ihnen; nicht aussehen wie das Modell, sondern es sind.« Hier ebenso wie in Schermulys Fall ist das Problem ein ontologi-sches. Der bedeutende in Australien geborene amerikanische Kunstkritiker Robert Hughes schreibt über Lucian Freud: »Malerei, so kann man sagen, ist genau das, was die visuellen Massenmedien nicht sind: eine Art der persönlichen Begeisterung und nicht der allgemeinen Verführung. Das ist ihre fortdauernde Bedeutung für uns. Uberall und zu allen Zeiten gibt es eine Welt, die durch den zupackenden Scharfblick und die beharrliche Langsamkeit des Malerauges reformiert werden muß.«
Dieses Thema weiterführend, bemerkt Hughes über Lucian Freuds Gemälde: »Sie schildern Bruchstücke des Seelenlebens, die wir allein nicht zusammenfügen können.« Hier besteht eine direkte Parallele zu den Bestrebungen Schermulys. Über seine Stilleben sagt Schermuly, daß er nicht an einer Komposition im üblichen Sinn interessiert sei; für ihn ist ein allzu starkes Eingehen auf diese Methode gleichbedeutend mit einem malerischen Trick. Berechnung eines erwünschten Effektes oder Ein-sich-Einlassen auf malerische Kunstgriffe könnte dazu führen, daß das Wesen des wahrgenommenen Gegenstandes entweicht. Lucian Freud spricht ähnlich von seiner Einstellung gegenüber dem Portrait: »Das Modell ist kein Instrument von des Malers Phantasien, und er hat nur die Freiheit, sie oder ihn im direkten Gegenüber zu malen.« Die Idee einer direkten Konfrontation mit dem Motiv bringt offensichtlich ein Element furchtloser Herausforderung mit sich. Im Falle Schermulys jedoch wird die Objektivität der Ausführung auch durch die Sinnlichkeit der Erfahrung modifiziert. Wir sehen nicht nur einfach eine Frucht oder Blumen durch das Medium der Farbpaste, sondern schmecken oder riechen sie beinahe. Schermuly hat leidenschaftlich über die gesteigerte Schönheit von überreifem Obst und welkenden Blumen gesprochen. Einige seiner bedeutendsten Blumenstücke halten sogar den Verfallsprozeß fest - mit frischen Blumen auf der einen Seite einer Vase, die in welkende Stengel auf der anderen Seite übergehen. Es muß jedoch betont werden, daß die Vorgänge des Alterns weder für sentimentale noch für dramatische Wirkungen benutzt werden. Wir haben es hier mit der Hinnahme eines unvermeidlichen organischen Wandels zu tun. Die Botschaft des Künstlers ist nicht pessimistisch, sondern bejahend.
Bei Schermulys offensichtlichem Interesse an Oberflächen und Texturen ist man versucht, ihn in eine nordeuropäische Tradition einzureihen, die auf Jan van Eyck und die flämischen Maler zurückgeht. Jedoch gehört Schermuly sowohl durch Herkunft als auch durch Neigung eher der französischen Tradition an. Der Name des Künstlers stammt aus der Schweiz, und seine Ahnen ließen sich zuerst in Frankreich nieder, nachdem sie vor Calvin aus ihrer Heimat geflohen waren
Selbst in den Begriffen des deutschen Realismus im 20. Jahrhundert bleibt Schermuly weitgehend ein Außenseiter. Während zum Teil oberflächliche Verbindungen mit Vorkriegskünstlern der »Neuen Sachlichkeit«, wie Christian Schad, hergestellt werden können, überwiegen doch die Unterschiede deutlich, denn Schermulys Kunst unterscheidet sich von jener grundlegend dadurch, daß sie eine einheitliche anstelle einer fragmentarischen Qualität aufweist. Dies ist ein wichtiger Unterschied, der festgehalten zu werden verdient - nicht nur in der Malweise, sondern auch der zugrundeliegenden Denkweise. Denn wo die »Neue Sachlichkeit« auf Risse im Gebäude der Gesellschaft und drohende Auflösung hinweist, regt Schermuly etwas an, das zu einer erlösenden Einheit führen soll. Ganz allgemein konzentrierten sich die Künstler der »Neuen Sachlichkeit« absichtlich auf die Isolierung von Menschen und Gegenständen, indem sie die Unmöglichkeit aufzeigten, jemals die Natur von Gegenständen zu erkennen oder sinnvolle Verbindungen zwischen ihnen herzustellen. Die Aussage der »Neuen Sachlichkeit« scheint letztendlich zu sein, daß alle Erscheinungen täuschen. Im Gegensatz dazu fordert uns Schermuly auf, nicht nur das Betrachten zu genießen, sondern auch an das zu glauben, was wir durch seine Augen sehen. Seine Portraits sind nicht so sehr bewußt psychoanalytisch; sie erwecken vielmehr die Vorstellung, daß wir gar nicht anders aussehen können, als wir im Grunde unseres Wesens sind.
Die unmittelbare Direktheit, mit der Schermuly malt, stellt eine Herausforderung nicht nur für den Maler, sondern auch für das Modell dar, denn das Auge des Künstlers ist erfahren und durchdringend. Trotzdem hat das, was Schermuly malt, nur die Greifbarkeit des im Augenblick Erstarrten; wir wissen, daß Modelle ermüden, Blumen welken, Früchte verderben und Katzen nicht ruhig halten; in diesem Sinne muß eine vollkommene Stille immer eine Fiktion bleiben, wie sehr der Künstler sich auch bemüht. Selbst angesichts einer solchen Kunst der Konfrontation dürfen wir nie vergessen, daß Malen ein Kunstding ist. Wer mit dem Malen Erfahrung hat, weiß, daß die persönliche Beziehung eines Künstlers zu dem direkt wahrgenommenen Motiv auf immer durch den Akt des Malens verändert wird. Nur ein Maler untersucht Gegenstände, Menschen und Landschaften mit solch ausdauernder, intensiver und leidenschaftlicher Genauigkeit. Wahre Kunst dokumentiert diese Intensität des Betrachtens, jedoch ist dies allein nur ein Teil des Vorgangs. Obwohl jedes fertige Gemälde von Schermuly buchstäblich aus Tausenden von winzigen künstlerischen Entscheidungen erwachsen ist, müssen einige größere Entscheidungen schon getroffen worden sein, bevor solch subtile Proben der handwerklichen Kunst und des Charakters ins Spiel kommen.
Die Auswahl des Motivs, die Komposition und das Format sind selbstverständlich Bildelemente von grundlegender Bedeutung. Wann immer ein Künstler ein neues Bild in seinem Kopf konzipiert, die endgültige Verwirklichung wird trotzdem ganz anders aussehen.
Schermulys Kunst steht im Hinblick auf die ihr zugrunde liegenden Gedanken, wie schon festgestellt wurde, abseits der typischen Muster des deutschen Realismus im 20.Jahrhundert. Eine Bemerkung des tschechoslowakischen Realisten Ernst Neuschul (1895-1968) jedoch, der in Deutschland wirkte, ist in ihrer Klarheit der Unterscheidung zwischen Realismus und Naturalismus von immer noch aktueller Bedeutung im Falle Schermuly. »Realismus, wie ich ihn verstehe, ist ein Ausdruck des Glaubens in die Vertrauenswürdigkeit unserer Sinne als dem einzigen Weg, sich unserem eigenen tieferen Sinn und dem unserer Umgebung zu nähern. Der Naturalist zeigt, wie die Dinge aussehen, aber es ist klar, daß die Kamera das noch objektiver kann. Der moderne Realist andererseits sieht sich der schwierigeren Aufgabe gegenüber, durch Farbe und Linie sowohl das, was ihn bewegt, als auch die Art und Weise, in der es ihn bewegt, auszudrücken.« Neuschul sagt weiter: »Abstrakte Malerei [...] zeigt nicht, was den Maler bewegte, sondern nur, wie er bewegt wird. Ich empfinde es als meine Aufgabe, mit beidem zu ringen und es darzustellen, das Was und das Wie.«
Schermulys Griff nach dem Wahrzunehmenden in der Kunst geht zurück auf seine persönliche Sehnsucht nach dieser Art der Dualität. Viele der großen Blumenstücke und vielschichtigen Stilleben des Künstlers stellen sich, auf der einen Ebene, deutlich als Triumphe der malerischen Intensität dar. Dennoch ist das nur ein Teil dessen, was sie sind, denn die Hinwendung zur Sache allein kann die Unmittelbarkeit ihrer Wirkung nicht ausreichend erklären.
Schermulys Kunst ist von ungetrübter Bildhaftigkeit. In einer anderen Zeit als dieser würde seine Kunst wenig Erklärung oder gedruckte Verteidigung brauchen. Unglücklicherweise ist es offensichtlich heute für Kunst und Künstler unmöglich geworden, in einem Vakuum zu leben. Ich habe oben versucht, den Schlüssel zu liefern für die Ziele des Künstlers, vor allem, weil diese vielen außerhalb des allgemeinen Zeitgeists zu liegen scheinen. Daß Kunst irgendeine unmittelbare visuelle Anziehung hat, wird heute häufig so angesehen, als folge daraus notwendig Seichtheit. Ich hingegen verstehe eine solche Anziehung als Zeichen künstlerischer Aufrichtigkeit. Ein Teil von Peter Schermulys Kraft liegt in der Ermutigung, genau zu beobachten und sich einmal mehr am Besonderen zu begeistern. Eine perzeptive Kunst wie die seine ist ein Zeichen dafür, daß der Künstler mit dem Greifbaren in Einklang steht. Sie ist weit entfernt von einem Eingehen auf bürgerliches Behagen, und ihre Philosophie erneuert ein Bedürfnis nach strengen Wertungen der Aufrichtigkeit und der Verpflichtung. Wenn man das Gegenständliche in der Kunst betrachtet, gerät man schnell an ein fesselndes Paradoxon. Große Kunst, die sich mit dem Einzelnen zu beschäftigen scheint, spricht dennoch eine universale Sprache. Denken wir einen Moment an die kleinen Interieurs von Vermeer. Vielleicht ist das Vorhandensein eines besonderen Objekts notwendig, um den Künstler von den Einflüssen seiner Selbstbefangenheit zu befreien. Tiefere Bedeutung schleicht sich an des Künstlers abgewandtem Blick vorbei in seine Kunst. Der englische Maler John Piper schrieb in der Einführung zu seinem Buch »British Romantic Artists«, das 1942 erschien: »Romantische Kunst beschäftigt sich mit dem Einzelnen. Die Einzeldarstellung eines Vogelflügels von Bewick, eines Wasserfalles und eines Bergstädtchens von Turner oder der Elizabeth Siddall von Rossetti entsteht aus einer Vision, die in diesen Dingen etwas Bedeutungsvolles über die gewöhnliche Bedeutung hinaus sehen kann, etwas, das für einen Augenblick die ganze Welt zu enthalten scheint und das, wenn dieser Augenblick vorübergegangen ist, neben der Aussage über das Äußere auch eine Aussage über das Leben oder die Erfahrung vermittelt.«
Schermuly hat von einer Sehnsucht der Kunst gesprochen, »säkularisierte Ikonen« zu malen, und dann - ein wenig scherzhaft - davon, daß es für einen Künstler notwendig sei, »einen Salatkopf mit den Augen eines Liebhabers« anzusehen, wenn er ihm als Maler gerecht werden wolle. Beide Aussagen liefern einen wesentlichen Einblick in die Intensität der direkten Verstrickung eines Künstlers mit dem Motiv. In gewissem Sinne akzeptiert er die offensichtliche Einsamkeit seiner künstlerischen Position als eine Buße für seine Überzeugung. Jedoch, wie schon gesagt wurde, könnte Schermulys Position weniger einsam sein, als er sich vorstellt. Schon 1953 äußerte sich der amerikanische Künstler Edward Hopper in prophetischer Weise: »Das Innenleben des Menschen ist ein weites und vielfältiges Reich und beschränkt sich nicht allein darauf, Zusammenstellungen von Farbe, Form und Zeichnung zu veranlassen. Der Begriff >Leben<, wie er in der Kunst gebraucht wird, ist etwas, das nicht mit Verachtung angesehen werden darf, weil er alles Existierende zusammenfaßt, und die Sache der Kunst ist es, darauf zu reagieren und ihm nicht auszuweichen. Die Malerei wird sich vollständiger und weniger verquer mit den Erscheinungen der Natur zu beschäftigen haben, bevor sie wieder groß werden kann.«
Die Geschichte der perzeptiven Kunst in Europa begann in den ersten Jahren des H.Jahrhunderts mit Giotto aufs neue. Giottos humanistischer Realismus und bildnerische Intelligenz verdrängten die vorwiegend symbolische Kunst, die vorausgegangen war, und schenkte der Menschheit den ersten Funken einer »modernen« Art der Malerei. Es ist deshalb eine Ironie, daß die Tradition des Realismus, die im 19. Jahrhundert noch von solchen Künstlern wie Courbet verkörpert wurde, in unserer eigenen modernen Zeit beinah völlig von neuen Formen des Symbolischen verdrängt worden sein sollte.
Jetzt, da wir uns dem Ende des 20. Jahrhunderts nähern, uns in einer Ära befinden, die - nicht sehr sinnvoll - als postmodern bezeichnet wird, sollten wir vielleicht erwägen, das Wort »modern« in einer anderen Weise zu benutzen. Das Wort sollte dann nicht länger für die Beschreibung eines Stils oder einer Haltung gebraucht werden, weil in gewissem Sinn alle Künstler, die in der modernen Zeit leben und arbeiten, unvermeidlicherweise modern sind. Wir müssen uns klarmachen, daß die Erfahrungen manche dieser Maler, wie Peter Schermuly, zu anderen Schlüssen als denen der Mehrheit führen werden, und zwar sowohl über die beste Methode zu arbeiten als auch die Art und Weise, in welcher sie ihre wahrhaft eigenen Visionen finden und ausdrücken. Das Neuverhandeln unseres Paktes mit der Vergangenheit ist eine geeignete Beschreibung genau einer dieser Möglichkeiten, aber wir sollten nicht vergessen, daß die völlige Freiheit der Wahl immer ein zentraler Grundsatz des modernen Glaubensbekenntnisses gewesen ist. Unsere Konzeption künstlerischer Legitimität auf das zu beschränken, was vorgeblich modern ist, heißt, diese Freiheit in Frage zu stellen, und könnte mit dem bewußten Entschluß, nur einen Teil eines sehr großen und fruchtbaren Gartens zu bestellen, verglichen werden.
Ironischerweise steht Schermulys einsamer Kampf, ein geeignetes Ausdrucksmittel für seine einzigartige Vision zu finden, in der ehrenwertesten Tradition der modernen Kunst. Wir müssen uns auch in Zukunft vor einem zu engen Verständnis dessen, was der Ausdruck »moderne Kunst« vernünftigerweise umfassen sollte, hüten.
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