Über Schermuly

Schermuly über die Malerei

Ein bedeutsamer Augenblick bei der Entstehung eines Bildes ist die erste Berührung der weissen Leinwand mit einem Klecks, einem Strich, einer kurzen Linie durch den Pinsel mit der Farbe. Ich habe zum Beispiel eine etwas ins Grünliche gehende Umbra vorbereitet, nasse Ölfarbe auf der Palette - aber wenn sie auf die Leinwand trifft, dann verwandelt sie sich. Die Farbe ist nicht mehr die Farbe an sich, sie ist jetzt die Farbe von etwas, die Farbe eines Gegenstandes, der sich da noch unidentifizierbar in dem luftlosen Weiss des Malgrundes aufhält. Der erste Farbstrich, der noch nichts über die Räumlichkeit, die Lebendigkeit, die Beschaffenheit meines Sujets verrät, enthält das, was entstehen will, dennoch schon in einer wichtigen Hinsicht, nämlich als ein Objektives, von mir Losgelöstes, das sich gemäss seinen eigenen Gesetzen entfalten wird. Dies Rot da ist das Rot eines schweren Körpers, dies Violett ist die Tönung einer zerbrechlichen, splitternden Substanz, dies Gelb ist eine sämige Masse, dies Braun ist kühl und bröckelig, eine Art im Pfeifenkopf festverbackener Tabakskruste. Die Farben wissen, zu welchen Körpern sie gehören, man kann sie nicht täuschen. Sie sind es, die die Welt gebären, deren oberflächlichste Eigenschaft sie doch zu sein scheinen. Und das Modell? Die Frau? Der Korb mit Äpfeln? Der Stein? Wie verhält sich das vorgestellte Modell zu diesem nach seinem eigenen Gesetz fortschreitenden Gewebe? Zum Schluss, wenn das Bild geboren ist, scheint das Modell gesiegt zu haben. Auf der Leinwand stehen nun Frau, Apfel und Stein, unverkennbar im Schimmer der ihnen eigenen Farbigkeit. Um doch will es scheinen, dass die Stäbe des Käfigs, in dem das Sujet meine Farben gefangen hält, zittern. Aus dem Apfel wird unversehens eine Blutlache, aus dem Stein eine wüstenhafte Ebene. Das Bild ist vollendet, uns das Auge beginnt seine neuschaffende Betrachtung.

Peter Schermuly