Ein anderer Maler

Mariana Hanstein

Avantgarde begreift er als seine lebendige Gegenwart, die Moderne als eine historische Kunstrichtung, die Idee des „Zeitgeistes" als einen gauklerischen Versuch, Geschichte vorwegzunehmen, den Begriff der Entwicklung der Kunst als eine Verwechslung mit den Begriffen der Naturwissenschaft. Im Kunstgeschehen der letzten drei Jahrzehnte ist der 1927 in Frankfurt geborene Maler Peter Schermuly ein Außenseiter und Einzelgänger höchsten Grades.

Zugehörigkeit stützt und trägt den Künstler, dem unreifen Betrachter ist sie ein Argument und dem Kunstwissenschaftler allzuoft ein Ziel. Daher ist Zugehörigkeit eine permanente Versuchung und Vereinzelung, ein Hindernis. Der Gedanke einer zusammenhängenden Entwicklung der Kunst, sei es in einem einzigen großen weltgeschichtlichen Ganzen, sei es in einzelnen Epochen — Kunst des 20. Jahrhunderts, nach 1945, der 70er Jahre etc. — hat immer wieder zu geistreichen, letztlich aber unhaltbaren, weil der Vielfalt der Realität nicht entsprechenden Konstruktionen geleitet. Was in die postulierte Entwicklung nicht hineinpaßt, wird leicht zur Seite geschoben oder als rückständig diskreditiert. Natürlich korrigiert der historische Abstand dieses Bild, wie Rezeptionsgeschichte, „Entdeckungen" und „Wiederentdeckungen" immer wieder bezeugen — doch wann und wie, ist nicht berechenbar. Deshalb bewundere ich zuallererst den Mut Peter Schermulys, seinen Mut zum Alleingang, der auch ein Mut zur Einsamkeit und zur Isolierung ist. Hier und heute wird sein Werk zunächst bei jenen Interesse finden, die großzügig „andere Wege" erlauben, vor allem aber bei denjenigen, die sich an der Vielfalt des Geistes erfreuen und an der Spannung, die sich aus der Verschiedenheit ergibt.

Ist Peter Schermuly ein Traditionalist? Was erinnert in seinen Bildern an unsere Zeit, an unsere Gesellschalt mit ihren Idolen und Tabus? Was erinnert an die europäische Kunst?

Er begann mit abstrakten Bildern, dann entstanden phantastische Arbeiten, bis er schließlich zu jener realistischen Malerei fand, die in den letzten Jahren immer vollkommener wurde und die in meinen Augen den „wahren" Schermuly ausmacht. Es sind Stilleben, Portraits, Akte, doch nicht in dem kühlen Ton der „Neuen Sachlichkeit" oder eines „Photorealismus" formuliert, sondern in der kultiviertesten Sprache abendländischer Malkunst. Es sind die gelassenen Produkte einer introvertierten und dennoch absolut ichlosen und unsentimentalen Sicht der Dinge — das ist das Provozierende an diesen Bildern. Die Grundlagen der Malerei, ihre Techniken und Berufsgeheimnisse scheinen im Vordergrund zu stehen, während ihm das Psychologisieren lern liegt. Dagegen spürt man deutlich seine Verliebtheit in die virtuose und zugleich würdevolle Wiedergabe der Dinge, seine Hingabe zur Raffinesse der Farbe und der Oberfläche. „Malerei muß die Festigkeit einer Kommode besitzen", sagt dieser Intellektuelle mit Humor und meint dabei die Illusion von Volumen, von Formen und Materie, die ihm mehr und mehr zur Herausforderung wurde.

Peter Schermuly „riskiert das schöne Bild", und wie das Psychologisieren ist ihm auch das Theoretisieren fern und der Zwang einer Aussage. Seine Bilder laden daher viel mehr zur sinnlichen Anschauung als zur Interpretation ein. Und so muß man sich ihnen kontemplativ nähern, um das Irreale ihres Realismus, um ihr Geheimnis zu entdecken. Schermuly bringt Gegenstände auf die Leinwand, die „da" sind, doch nicht um ihrer selbst willen. Das „Stilleben mit Brot" etwa von 1985 vereint auf einer mit einem weißen Tuch überzogenen Tischplatte einige Brotstücke, eine Karaffe mit Rotwein, zwei Gläser und einen Blumenstrauß. Das Arrangement will keineswegs eine eigenwillige Erfindung des Künstlers sein, denn es folgt eindeutig dem klassischen Schema eines niederländischen Stillebens, bei dem die einzelnen Gegenstände die Virtuosität des Malers unter Beweis stellen. Die „Bravura" liegt auf Lieblingsmotiven der Malerei: der Transparenz des Glases, den Ton-in-Ton-Abstufungen — Brot, Tischdecke und Hintergrund — dem Glanz des Goldes, der Fragilität und Frische der Blumen. Das gleiche gilt für Schermulys Akte, deren Herausforderung die Malerei des Fleisches, des Inkarnats ist, und schließlich auch für seine Portraits, die natürlich „ähnlich" sind, letztendlich aber Allegorien der Dargestellten und dieser Bildgattung selbst bedeuten. Es ist ein doppeldeutiger Realismus, der mehr eine Beschwörung der Kunst als der Dinge ist, die auf die Leinwand projiziert werden: ein sinnlich vermittelter intellektueller Akt. Peter Schermuly thematisiert die Malerei, sie ist das Ziel und somit ist dies auch der Blickwinkel, aus dem sich die Notwendigkeit seines Tuns ergibt.

Der Griff in die Historie ist heute nicht nur erlaubt, er ist geradezu eine programmatische Pflichtübung geworden. Abgesehen davon, daß Schermulys Ansätze aus einer tiefen individuellen Erkenntnis stammen und seit über drei Jahrzehnten reifen, unterscheidet sich seine Haltung von jüngsten Schlagworten wie „Neo-Expressionismus" oder „Wiederentdeckung der Malerei" grundlegend. Malerei ist für ihn kein Mittel zum Selbstausdruck, kein Mythos des Irrationalen, sondern eine alte, wunderbar menschliche Tätigkeit. Geschichte ist dabei Maßstab und Orientierung.

Mariana Hanstein